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Das Denkmal im Heidedorf Schwalingen
Hinrich Friedrich Böttcher * 8.März 1898 30.Oktober 1917 Halbhof “Schwieten”, Schwalingen No.14
Schwalingen im Winter 1916/1917. Der Verlauf und die Auswirkungen des 1.Weltkrieges bestimmen das Leben der Menschen im Deutschen Reich. Keine der streitenden Mächte ist auf einen so lang andauernden Krieg eingestellt. Die Versorgung der Fronten mit kriegswichtigen Gütern steht an erster Stelle. Überall herrscht Mangel. Kohle wird knapp, vor allem aber Lebensmittel. Im Deutschen Reich wirkt sich das englischen Handelsembargo und die Handelsblockade zur See katastrophal aus: Vor dem Krieg importierte Deutschland den dritten Teil seiner Lebensmittel aus den Ländern, mit denen es seit über zwei Jahren Krieg führt. Insbesondere die Getreideimporte aus Russland fehlen schmerzlich. Kartoffelfäule vernichtet im verregneten Herbst 1916 große Teile der Ernte und verschlimmert die Lage zusätzlich. Es ist bitterkalt in diesem Winter, lange Perioden mit Temperaturen unter minus 20 Grad Celsius. Die Bevölkerung hat kein Heizmaterial und - sie hungert. Besonders die Menschen in den Städten sind betroffen. Es sterben Hunderttausende an Unterernährung oder sie erfrieren. Fleisch- oder Wurstwaren fehlen für die „Normalbevölkerung“ fast überall völlig. Der Winter 1916/1917 geht als „Steckrübenwinter“ in die Geschichte ein: Steckrübensuppe, Steckrübenauflauf, Steckrübenkoteletts, Steckrübenpudding, Steckrübenmarmelade, Steckrübenbrot. Deutsche Soldaten kämpfen im Zweifrontenkrieg. An der östlichen Front gegen die russischen Armeen, an der Westfront im Stellungskrieg gegen französische und englische Truppen. Hunderttausende Soldaten sind in den großen Vernichtungsschlachten des Jahres 1916 gefallen – „Verdun“ ist das eine Wort, das den ganzen Schrecken dieses Krieges beschreibt…. die Schlacht an der Somme… Auf dem Schwalinger Halbhof „Schwieten“ beobachtet die Familie Böttcher die Ereignisse mit banger Sorge: Halbhöfner Hinrich Friedrich Böttcher und seine Ehefrau Marie Sophie, geborene Röhrs, und ihre vier Kinder, der Anerbe Hinrich Friedrich, Minna Marie, Friedrich Wilhelm und Dora. Anerbe Hinrich Friedrich Böttcher steht in der landwirtschaftlichen Ausbildung an der Ackerbauschule zu Visselhövede. Auch in diesem Wintersemester 1916/1917 besucht er die Schule. Aber, wer weiß, wie lange noch? Seit seinem 17.Geburtstag am 3.März 1915 ist Hinrich Friedrich nach preußischem Recht wehrpflichtig. Es ist jederzeit damit zu rechnen, dass sein Jahrgang 1898 zum Kriegsdienst aufgerufen wird. Im Dezember 1916 hatte das Deutsche Reich den Kriegsgegnern ein Friedensangebot gemacht. Am 5.Januar 1917 lässt Kaiser Wilhelm II. die deutsche Bevölkerung wissen, dass dieses Angebot abgelehnt wurde. Eine Woche später ist Hinrich Friedrich Böttcher Soldat des deutschen Heeres. Er hat den Gestellungsbefehl zum Infanterie-Regiment Nr.465 erhalten, das Mitte Januar 1916 auf dem Truppenübungsplatz Munsterlager aus niedersächsischen und friesischen Soldaten neu aufgestellt wird. Er wird zusammen mit weiteren Rekruten der 6.Kompagnie zugeteilt. Schon Ende Januar 1917 wird das Infanterie-Regiment Nr.465 nach Lockstedt bei Itzehoe in Schleswig-Holstein verlegt und der neu gebildeten Infanterie-Division 238 unterstellt. Hier in Lockstedt findet die erste Ausbildung der jungen Rekruten zum Militärdienst statt, die „Konfirmanden“, wie sie von den altgedienten Ausbildern genannt werden. Hier erreicht sie auch die bedrückende Nachricht, dass am 6.April 1917 die Vereinigten Staaten von Amerika dem Deutschen Reich den Krieg erklärt haben. Es sind keine drei Monate vergangen, als Hinrich Friedrich Böttcher mit seinen Kameraden im Infanterie-Regiment Nr.465 an die Kriegsfront verlegt wird, an die Westfront, nach Nordfrankreich. In Vorfeldgefechten der deutschen „Siegfriedstellung“ erlebt Hinrich Friedrich Böttcher im April und Mai 1917 seinen ersten Kriegseinsatz. Dann wird sein Regiment weiter westlich, nach Arras verlegt. Fünf Monate steht Hinrich Friedrich Böttcher mit seinen Kameraden bei Arras im Stellungskrieg. Er erlebt und überlebt nicht nur beinahe täglich schwersten Artilleriebeschuss, sondern auch Gasangriffe. Das Regiment verliert hier mehr als 300 Gefallene, Verwundete und Vermisste. Aufgrund seiner Bewährung an der Front bei Arras wird das Infanterie- Regiment Nr.465 mit Hinrich Friedrich Böttcher für eine besondere Verwendung vorgesehen: Im Oktober 1917 wird es nach Belgien verlegt, nach Flandern – wo seit Juli 1917 eine gewaltige Schlacht um die Wende im Krieg ausgetragen wird. Nördlich der Bahnstrecke von Roulers nach Ypern in der Gegend von de Ruyter, etwa 3 km südwestlich von Roulers, bezieht das Infanterie-Regiment Nr.465 seinen Einsatzraum. Hier ringen Ende Oktober 1917 in äußerst verlustreichen Kämpfen die deutschen Soldaten mit dem englischen Gegner um den Besitz des kleinen Dorfes Passchendaele. Am 29.Oktober 1917 wird die 6.Kompagnie des Infanterie-Regimentes Nr.465 mit Hinrich Friedrich Böttcher aus der Bereitschaft in die Kampfzone, in die vordersten Frontgräben, verlegt. Der folgende Tag, der 30.Oktober 1917, wird als „Großkampftag bei Passchendaele“ traurige Geschichte machen. In der Frühdämmerung des 30.Oktober 1917 beginnt der englische Angriff mit vernichtendem Artilleriebeschuss der deutschen Gräben. Dann folgt der Angriff der englischen-kanadischen Infanterie. Er kann unter hohen Verlusten abgewehrt werden. Am frühen Vormittag versagen aber die Kräfte der Nachbarkompagnie der 6.Kompagnie – die feindlichen Soldaten brechen durch und greifen die Stellungen der 6.Kompagnie von der Seite und von hinten an. Das Infanterie-Regiment Nr.465 konnte zwar seine Linie letztlich unter hohen Verlusten halten und erntete dafür höchsten Ruhm – aber die 6.Kompagnie mit Hinrich Friedrich Böttcher gab es nicht mehr. Insgesamt verlor das Infanterie-Regiment in der Schlacht um das Dorf Passchendaele über 700, mehr als ein Drittel seiner Soldaten. Es konnten bei Weitem nicht alle Gefallenen geborgen und bestattet werden – „Vielen war der flandrischen Sumpf zum Grabe geworden“. Auch Hinrich Friedrich Böttcher ist unter denen, die in keiner der langen Verlustlisten der deutschen Armeen zu finden sind – weder als gefallen, noch als vermisst, noch als in Gefangenschaft geraten. Niemand kann der Familie Böttcher in Schwalingen Auskunft zum Verbleib ihres Sohnes geben. Jahre vergehen auf dem „Schwieten-Hof“ zu Schwalingen in Hoffen und Bangen. Erst 18 Jahre nach den Ereignissen bei Passchendaele, 17 Jahre nach Kriegsende, im März 1936 erhält Halbhöfner Hinrich Friedrich Böttcher vom „Zentralnachweisamt“ in Berlin die Nachricht, dass der Anerbe seines Hofes, der älteste Sohn seiner Familie, Hinrich Friedrich Böttcher, im Weltkrieg gefallen ist: Mit 19 Jahren, am 30.Oktober 1917, in Flandern, bei de Ruyter, 3 km südwestlich von Roulers – in den Kämpfen um das Dorf Passchendaele. 3 Jahre später beginnt der 2.Weltkrieg …
Anfang September 1917 schickt Hinrich Friedrich Böttcher eine Feldpostkarte von der Front bei Arras in Frankreich an seine Eltern in Schwalingen: Geschrieben d.3.9.17 Liebe Eltern! Ich schicke Euch eine Karte von gestern, wir die 7te Korporalschaft haben uns photographiert. Sonst geht es mir ganz gut. Hoffe daßselbe auch von Euch allen. Schönen Gruß an Euch alle und ich gratuliere Dora noch vielmals zum Geburtstag. H.Böttcher Es ist das letzte Lebenszeichen, dass Familie Böttcher auf dem Schwalinger „Schwieten-Hof“ von ihrem Sohn und Bruder erhalten.
Hinrich Friedrich Böttcher im Winter 1916 auf der Ackerbauschule zu Visselhövede
Familie Böttcher, um 1920, Halbhof “Schwieten” zu Schwalingen No.14, Mutter Marie Sophie, geb.Röhrs, Töchter Minna und Dora, Sohn Friedrich Wilhelm und Vater Hinrich Friedrich Böttcher. Sohn Hinrich Friedrich ist nicht mehr dabei. Zu dieser Zeit hatte die Familie noch keine Gewissheit über seinen Tod an der Westfront im Oktober 1917.
Die Stellung der 6.Kompagnie des Infanterie-Regimentes Nr.465 mit Hinrich Friedrich Böttcher in der Grabenfront beim Kampf um das Dorf Passchendaele in Flandern am 30.Oktober 1917.